User Interface of Unknown Provenance UOUP (2024)

Definition des Begriffs UOUP (gemäßIEC 62366)

Die IEC 62366-1:2015(die Norm zur „Anwendung der Gebrauchstauglichkeit auf Medizinprodukte“)führtden Begriff UOUP ein und definiert ihn wie folgt:

Eine UOUP (User Interface of Unknown Provenance) zu deutsch „Benutzerschnittstelle unbekannter Herkunft“ isteine Benutzerschnittstelle oder Teile einer Benutzerschnittstelle mit unbekanntem Entwicklungsprozess, für die geeignete Aufzeichnungen eines gebrauchstauglichkeitsorientiertenEntwicklungsprozesses gemäß IEC 62366-1 nicht verfügbar sind.

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Was die IEC 62366 mit dem Konzept der UOUP erreichen will

Viele Medizinprodukte-Hersteller kaufen Komponenten wie z.B. eine Computer-Maus zu, die offensichtlich keinen „Usability Engineering Process“ gemäß IEC 62366 durchlaufen hat. Oder sie haben Altprodukte seit Jahrzehnten ohne Probleme im Markt oder möchten für diese eine kleinere Änderung an der UI machen.

User Interface of Unknown Provenance UOUP (1)

Nun müssten dieHersteller eigentlich für diese Benutzerschnittstellenden kompletten Prozess nachträglich durchlaufen.Genau da möchteihnen die neue IEC 62366 entgegenkommen: Sie dürfeneinen verkürzten Usability EngineeringProzess durchlaufen, bei dem v.a. die Risiken bewertet werden, die mit der Gebrauchstauglichkeit dieser Komponente einhergehen. Dabei muss der Hersteller auch auf Informationen zurückgreifen, die aus dem Markt bereits vorhanden sind.

Ganz genau kann dieser verkürzte Prozess für drei Szenarien angwendetwerden:

  1. Auf (Legacy) Medizinprodukte, die bereits auf dem Markt sind und die nicht unter Verwendung des Prozesses gemäß IEC 62366:2006 (sogenannte Vorgänger-Medizinprodukte) entwickelt wurden
  2. Auf (Legacy) Medizinprodukte, die nur kleine Änderungen aufweisen und die ursprünglich nicht unter Verwendung von IEC 62366:2006 entwickelt wurden
  3. Auf Medizinprodukte, die eine handelsübliche Komponente enthalten, die ihrerseits nicht unter Verwendung gemäß IEC 62366:2006 entwickelt wurde. Ein Beispiel war die o.g. Computer-Maus.

Welche Erleichterungen die Norm erlaubt

Erleichterungen durch die IEC 62366:2006

Die Erleichterungen bestehen im Wesentlichen darin, dass einige der Schritte des gebrauchstauglichkeitsorientierten Entwicklungsprozesses (Usability Engineering Process), wie von der IEC 62366:2006 vorgeschrieben, weggelassen werden können. Das betrifft insbesondere

  • die Usability Spezifikation
  • die Usability Verifizierung
  • den Usability Validierungsplan
  • die Usability Validierung selbst.

Dafür müssen die Rückmeldungen in jeder Form daraufhin ausgewertet werden, ob sie Informationen zu Risiken durch mangelnde Gebrauchstauglichkeit enthalten. Als Informationsquellen eigenen sich:

  • Berichte vom Service
  • Kundenbeschwerden
  • Meldungen bei und von Behörden
  • Anrufe bei Hotline
  • Beobachtungen

Nicht auslassen dürfen die Hersteller aber die sogenannte „Application Specification“ also die Zweckbestimmung sowie die Feststellung der Hauptbedienfunktionen.

Erleichterungen durch die IEC 62366-1:2015

Bei den Erleichterungen gemäß IEC 62366-1:2015 sieht es vergleichbar aus: Hier darf auf die formative und summative Bewertung, sogar auf die Beschreibung der „Use Scenarios“ verzichtet werden, aber nicht auf die Festlegung der „Use Specification“.

UOUP: Der Zeitpunkt entscheidet

Eine Ergänzung von Wolfgang Schneider, Usability Experte am Johner Institut und Mitglied der Arbeitsgruppe zur IEC 62366-1

Die Norm IEC 62366-1:2015 spricht im normativen Anhang C sehr explizit vom Publikationsdatum der Norm, das herangezogen werden sollte, um zu beurteilen, ob ein UI unter UOUP subsumiert werden kann oder nicht – also das Jahr 2015.

Normativer Text

Der entscheidenden Sätze lauten:

C.1 General
This annex was created in recognition of the fact that manyMANUFACTURERSwill be interested in applying the tools defined in this standard toUSER INTERFACESor parts ofUSER INTERFACES that have already been commercializedprior to the publication of this edition of this standard.
[…]
However, if any modifications are made to the USER INTERFACEor its parts, only the unchanged parts of theUSER INTERFACEremainUOUPand the changed parts of theUSER INTERFACEare subject to 5.1 to 5.8.

Schlussfolgerung

Es betrifft also tatsächlich das Jahr 2015, wenn der Hersteller die Version 2015 der Norm verwenden möchte. Zudem ist der Anhang C definitiv „normative“ und nicht „informative“, im Gegensatz z.B. zum Anhang B. Somit gilt das Publikationsdatum. Im neuen AMD-Draft ist auch vorgesehen, das Datum 2015 im Anhang C zu ergänzen, wo es noch nicht erwähnt wurde.

Wenn der Hersteller noch die harmonisierte Vorgängerversion nehmen möchte, gilt Anhang K und das alte Jahr 2007.

Daher dürfte es für die Hersteller interessanter sein, nicht das „alte“ Erscheinungsdatum und die harmonisierte Norm zu verwenden, sondern das neue mit 2015 und den Anhang C. Da dürften dann mehr Produkte darunter fallen.

Da die Norm verlangt, dass Hersteller die UI-Teile, die nach der Veröffentlichung entwickelt oder verändert wurden, nach dem Prozess der 62366-1 entwickeln soll, sind sie de facto gezwungen, das Publikationsdatum als Kriterium heranzuziehen.

Hinweis: Der Prozess im Anhang C kann als optional eingestuft werden, denn im normativen Teil wird nur von „may be evaluated according to Annex C” gesprochen. Das heißt, es gibt keine Verpflichtung („shall“) den Prozess im Anhang C so zu nutzen. Ein Widerspruch der Norm.

Fazit

Die Empfehlung lautet, sich auf das Publikationsdatum der aktuellen 62366-1 zu beziehen, so wie es im Anhang C steht, wobei der Anhang C durch das Korrigendum von 2016 und das neue AMD nochmals bestätigt wird.

Weitere Informationen zu UOUP

UOUP (User Interface of Unknown Provenance) und SOUP (Software of Unknown Provenance)

Für diese „bewährten“ „User Interfaces of unknown provenance“ hat man den Ansatz aus der IEC 62304 übernommen, die sogenannte „Software of Unknown Provenance“ SOUP kennt. Sowohl für die Software als auch die Benutzerschnittstellen unbekannter Herkunft wird auf den sonst vorgeschriebenen Umfang an Dokumentation verzichtet, wenn sich diese bewährt haben und der Hersteller die Risiken als akzeptabel bewertet.

Konsequenzen

Das Konzept der UOUP ist nicht auf „User Interfaces“ von Dritten beschränkt, sondern lässt sich auch auf eigene Produkte bzw. Benutzerschnittstellen davonanwenden, die in Verkehr gebracht wurden, bevor es die IEC 62366 gab und die sich im Markt bewährt haben. Sobald ein Hersteller aber Änderungen an diesen User Interfaces vornimmt, muss er wieder den von der IEC 62366 vorgeschriebenen „Usability Engineering Process“ in Gänze durchlaufen. D.h. über Dokumentationssünden in der Vergangenheit sieht man etwas hinweg, wenn dadurch keine Risiken für Patienten einhergehen. Aber ein Freibrief für die weitere Entwicklung von „Medical Devices“ ist das definitiv nicht.

UOUP und FDA

Bereits bevor die IEC 62366-1:2015erschien, gab esein Amendment in Form eines Annex K, das genau dieses Konzept der UOUP nachträgt, das übrigens von der FDA befürwortet wird. Das ist gut, denn sonstwäre dieses „Entgegenkommen“ für alle Medizinprodukte-Hersteller, die auch in den US-amerikanischen Markt streben, wertlos.

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